Geduldig stehen die Menschen in einer langen Schlange vor dem kleinen Laden in der Marie-Alexandra-Straße. Auch wenn es nur schrittweise nach vorne geht, kommt doch keine Hektik auf. Die meisten in der Schlange Stehenden tragen einen Mund-Nasen-Schutz, halten sich an die Ab Standsregeln und kennen das Prozedere vom wöchentlichen Ein¬kauf in der Beiertheimer Tafel. Warteschlangen von bis zu 150 Metern sind hier während der Corona-Pandemie keine Seltenheit. Zeit haben die meisten allerdings genügend dabei, denn viele der Kunden sind Rentner oder leben von Hartz IV. "Meine Rente reicht nicht zum Leben aus. Und irgendwo muss ich ja Lebensmittel einkaufen", sagt eine ältere Frau am Ende der Schlange. Und bei schönem Wetter sei das Warten nicht so schlimm, so komme man wenigstens für eine Stunde am Tag an die frische Luft.
"Für manche Leute ist das Anstehen auf der Straße allerdings stigmatisierend", sagt Marktleiter Ralph Beck. Deshalb würden während der Pandemie auch etwas weniger Kunden kommen als vor dem Beginn der Corona-Krise. Arbeit haben die Mitarbeiter der größten Karlsruher Tafel trotzdem zur Genüge. Etwa 1.900 Haushalte haben sich beim Caritasverband Karlsruhe für einen Einkauf registriert, dadurch werden weit über 3.000 Menschen regelmäßig mit Lebensmitteln versorgt. Für die Tafelmitarbeiter bedeutet die Pandemie wegen der vielen Vorgaben vor allem viel Organisationsarbeit. "Wir haben den Betrieb schon mehrfach umorganisiert", sagt Beck. Mittlerweile gibt es frisches Obst und Gemüse in vorgepackten Tüten, haltbare Lebensmittel in Dosen oder Tüten dürfen noch selbst ausgesucht werden. Etwa 35 Prozent der Tafelkunden in Beiertheim sind mittlerweile Rentner. "Die Leute haben teilweise 40 Jahre gearbeitet, trotzdem reicht die Rente nicht zum Leben aus", sagt Beck. "Dass die Altersarmut in einem reichen Land wie Deutschland zunimmt, ist für die Politik ein echtes Armutszeugnis."
Seit dem Beginn der Krise gab es in Beiertheim aber auch viele Neuanmeldungen von Mitarbeitern aus der Gastronomie. Einige Gastromitarbeiter kommen mit dem Kurzarbeitergeld ohne Hilfsangebote kaum über die Runden. An Essensspenden mangelt es der Beiertheimer Tafel nicht. Die Discounter haben in den vergangenen Jahren zwar ihre Logistik optimiert und müssen weniger überschüssige Lebensmittel an die Tafeln spenden. Doch diese Lücke konnte in Beiertheim dank einiger Großspenden bislang geschlossen werden.
Mit Versorgungsengpässen wegen der veränderten Discounter-Strategie hatte auch die Karlsruher Tafel zu kämpfen. Doch auch bei der Ausgabestelle am Rheinhafen musste keiner der Kunden aus rund 1.000 registrierten Haushalten bislang ohne Essen nach Hause gehen. "Während der ersten Corona-Welle mussten wir den Laden allerdings für eine Weile zumachen. Das war für unsere Kunden eine harte Zeit", sagt Marktleiter Daniel Heß. Mittlerweile kämen aber sogar mehr Kunden als vor dem
Beginn der Pandemie. Rentner sind ebenso dabei wie Arbeitsmigranten aus Osteuropa, Sozialleistungsempfänger und syrische Großfamilien. "Der Bedarf ist riesengroß und höher als noch vor einigen Jahren", sagt Heß.
Dass die Tafelläden in ganz Deutschland trotz sinkender Arbeitslosigkeit immer mehr Zulauf erfahren, ist für den Marktleiter ein "gesamtgesellschaftliches Problem". Die Einkommensstruktur der Menschen verschiebe sich offenbar immer weiter nach unten. "Wenn jemand ein Leben lang im Mindestlohn arbeitet, hat er auch während der Rente kein Geld mehr", so Heß. Und wer bereits in jungen Jahren wenig Geld verdiene, rutsche nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes während der Pandemie schnell in die Armutsspirale.
"Manche unserer Kunden haben Vorgeschichten wie Krankheit oder Sucht. Die sind für den Arbeitsmarkt offenbar nicht mehr interessant und auf unsere Unterstützung angewiesen", sagt die Durlacher Tafelleiterin Lisa Gödek. An der Durlacher Tafel werden etwa 260 Haushalte mit rund 1.000 Menschen mit frischen und haltbaren Lebensmitteln versorgt. Und auch im Tafelladen der Alive Church ist nach einem Jahr im Krisenmodus trotz der zahlreichen büro-kratischen Vorgaben eine gewisse Art der Pandemie-Routine eingestellt. "Manchmal vergessen die Leute ihre Maske und immer wieder halten sie auch zu wenig Abstand", sagt Gödek. "Aber so etwas kommt bei uns nicht öfter vor als in einem großen Supermarkt oder einem Discounter."
Ekart Kinkel, BNN